54. Bieler Lauftage/ 07. - 09.06.2012

  • Hier noch mein Laufbericht zum legendären Lauf in Biel


    Letztes Jahr konnte ich als Radbegleitung schon mal ein wenig Bieler Luft schnuppern. Dieses Jahr wollte ich es dann selbst wissen. Die Nacht der Nächte sollte es werden. Ich war top motiviert und fühlte mich stark. Zu wissen, dass meine Mutter, Maik und meine Fahrradbegleitung Tobias mit dabei sein würden, ließen die Vorfreude nur noch mehr steigen.
    Ich reiste mit Tobias spät abends am Donnerstag an. Als ich das Wetter sah, ließ meine Freude deutlich nach. Auf so eine Regenschlacht wie im Jahr davor war ich nicht eingestellt. Doch Maiks zuverlässiger Wetterbericht bescherte uns pünktlich zum Abend optimale Laufbedingungen. Am Lauftag selbst haben wir nicht viel unternommen, gedöst und rumgelegen. Als ich mich dann anmeldete und meine Startnummer erhielt, wurde mir erst richtig bewusst, was am Abend auf mich zukommen sollte. Die Anspannung stieg und die Vorstellung, dass ich nach 100km wieder Biel erreichen würde war mir unvorstellbar.
    Noch mal ein wenig essen und ausruhen und mit den letzten Vorbereitungen war es dann auch schnell soweit, dass wir uns auf dem Weg zum Start machten. Die Stimmung in der Stadt war nicht vergleichbar mit dem Vorjahr. Durch das deutlich bessere Wetter war auch in den Ortschaften auf der Strecke immer für Stimmung gesorgt. Obwohl Tobias und ich uns nicht verfehlen sollten, steckte ich das Handy sicherheitshalber ein.
    Wir wünschten uns alle noch mal viel Glück und dann ging es los. Maik ließ ich gleich davonziehen und machte keine Anstalten auch nur ansatzweise mitzuhalten. Ich merkte bereits in der Stadt auf den ersten Kilometern, dass es nicht gut läuft. Doch die vielen Zuschauer in der Stadt ließen mich das noch ein wenig vergessen. Es zog früh im Oberschenkel und in den Knien. Ich griff auch schon bei Kilometer 15 zu Cola in der Hoffnung, dass ich mich dann besser fühlen würde. Die erste Etappe war Lyss wo Tobias zu mir stoßen würde. Ich fühlte mich von den Beinen verdammt schlecht. Man kann bei so einer langen Strecke nicht ständig Biel als Ziel vor Augen haben, sondern muss sich immer Zwischenziele setzen und sich somit ins Ziel hangeln. Ich freute mich sehr, Tobi zu begegnen. Zu zweit zu dieser schweren Stunde bereits für mich lief es sich doch besser durch die Nacht. Ich ging jedoch bereits die Ausstiegmöglichkeiten im Kopf durch. Wenn es mit den Schmerzen gar nicht mehr ginge, dann müsse man auch vernünftig bleiben, dachte ich mir. Des weiteren ist der Spaßfaktor beim Laufen mit diesen Schmerzen doch sehr gering, wenn es diesen bei so einem Lauf überhaupt gibt. Weiter sollte es zum Ziel für die Marathonläufer gehen. Die schnellste Frau schaffte es sogar mich noch einzuholen. Das Problem, dass meine Zeitmessung vielleicht nicht funktionieren würde hatte ich nicht. Die Leute, die am Computer saßen feuerten mich gleich mit meinem Namen an, da dieser soeben bei ihnen auf dem Bildschirm erschien. Nach dem Marathonziel steuerten wir auf Kirchberg zu. Bei Kilometer 40 fühlte ich mich wie nach dem Rennsteiglauf. Gar nicht gut, dachte ich mir. Ich kämpfte die ganze Zeit mit meinen Schmerzen und zählte die Zeit runter, wann ich ungefähr in Kirchberg ankommen würde. Nach 3:51 bei Km 40. Ich war dennoch noch gut unterwegs. Die Anstiege nahm ich bis dahin alle laufend in Angriff. Auf Grund meiner Schmerzen wollte ich da schon nicht unbedingt ins Gehen wechseln. Tobias an meiner Seite machte fleißig Fotos und unterstützte mich, indem er mir Getränke reichte oder moralisch. Auch wenn mir so manche Motivationsfloskel nicht ganz schlüssig war: „Jetzt hast du schon 40, noch mal so viel und nur noch 20, dann hast du es schon geschafft!“ Bei Kilometer 42 sprach mich auf einmal ein Berliner an und wir liefen bis km 65 zusammen. Durch die nette Unterhaltung wurde ich auch mal wieder von meinen ganzen Schmerzen abgelenkt, die mich stark beschäftigten im Kopf und fühlte mich ein wenig besser. Beide mit dem Ziel unter 10:30 zu bleiben liefen wir durch die Nacht. Ich dachte mir so lange wie nur möglich mithalten. Ich konnte auch keine Musik hören beim Laufen, da mich diese nervte aufgrund der vielen Schmerzen. Ich hatte auch im Kopf, dass sich der Weg nach Kirchberg so extrem in die Länge zog, doch mit zwei Begleitern nun ging dies ziemlich rasch. Bei Km 50 noch schnell ein Foto, wer weiß ob das legendäre Foto bei km 99 folgen wird. Nach 5h36 min erreichten wir dann Kirchberg (km56). Aber auch hier nur eine kurze Pause und dann sollte es weitergehen. Ich hatte das Gefühl, dass Tobias ewig hätte weiter essen können an diesen Verpflegungsstellen. Ich verabschiedete mich von ihm. Für ihn ging es, wie für mich im letzten Jahr, gerade aus auf der Straße parallel zum Emmendamm entlang. Bei Km 67 sollte ich ihn wieder treffen. Doch erst mal am Industriegelände vorbei und ab in den Wald. Ein Abschnitt den ich noch nicht kannte und auf den ich mich freute. Ich war schon ein wenig angeschlagen, da meine Schmerzen immer mehr zunahmen und laut meiner Mutter sollte nun der schönste Abschnitt kommen. Mit vielen positiven Gedanken und nach langem wieder ein wenig motiviert, stürzte ich mich also auf den Singlepfad. Es dauerte glaube keine 5 Minuten, dass ich lauthals meine Mutter verfluchte. Von wegen Vogelgeräusche und was nicht noch so alles. Es war für meine bereits geschädigten Beine und Füße die Hölle. Ich hatte das Gefühl, dass dort mit Absicht solch eklige Steine eingebaut wurden in die Strecke. Der Weg kam mir schlimmer vor als jeder Abschnitt auf dem Rennsteig und dies ist der eigentliche Crosslauf. Ich fing an, mich über alles aufzuregen und zu ärgern. Ich gab meiner Mutter die Schuld für diese falsche Hoffnung, die sie natürlich ungewollt gemacht hat und über mich selbst regte ich mich auf, über meine Verfassung und über meine Schmerzen. Ich war also schlagartig unzufrieden gewesen mit allem. Dabei stimmte die Zeit bei km 60 sowie 65 noch. Am Ende dieses Dschungelweges musste ich dann auch meinen Laufbegleiter Thomas ziehen lassen. Wir wünschten uns alles Gute für den weiteren Verlauf. Sicherlich hat das Abreißen auch zum moralischen Einbruch beigetragen. Da es immer noch dunkel war, als ich von diesem Höllenweg endlich runterkam, fand ich Tobias nur durch brüllen. Völlig entnervt und mit deutlich weniger Kraft, sowie doppelt so vielen Schmerzen ging es endlich wieder mit Tobias an der Seite weiter. Wie wir geplant hatten erreichten wir Kilometer 70 in der Phase der Dämmerung. Es tat gut die Stirnlampe abzugeben. Nächstes Ziel war die letzte Ausstiegmöglichkeit bei Kilometer 76,5. Am Fuße des Anstieges bei der Verpflegung Km 72 war dann mein absoluter Tiefpunkt erreicht. Ich bat Tobias sicherlich nicht gerade höflich ab jetzt den Mund zu halten. Ich hätte mich am liebsten hingelegt und geweint. Die Schmerzen waren zu diesem Zeitpunkt unerträglich. Es ging nichts mehr. Oben werde ich aussteigen sagte ich mir. Die Siegerehrung um 8 Uhr 30 im Ziel würde man auch nicht mehr schaffen. Nach einem kurzen inneren Kampf mit meinem Körper und der Moral ging es dann weiter. Wir hörten durch das ganze Tal ständig irgendwelche Musik. Ein Mann stand mit seinem Alpenhornbläser oben auf dem Berg und spielte. Wenn es mir nicht so dreckig ergangen wäre zu diesem Zeitpunkt, dann hätte ich dies sicherlich genießen können. Bei Km 76,5 ordneten wir uns dann rechts ein und machten uns auf dem Weg zur letzten Etappe. Aufgeben??? Nein, dies ging dann doch nicht. Ich danke gerade an dieser Stelle meiner Radbegleitung, die mir vor Augen hielt was ich am Anfang der Strecke immer wieder zu ihm gesagt habe: „ Es gibt nur Biel, nur das Erreichen des Ziels, egal wie und wann!“ Ohne ihn hätte ich vermutlich nicht weitergemacht. Den letzten Anstieg nahm ich gehend in Angriff. Hätte ich mich da nur mal genauer umgeschaut, hätte ich meine Mutter sehen müssen. Vermutlich wäre ich dann schneller unterwegs gewesen auf den letzten 20 Km. Genau bei mir wünschte sich eine junge Frau das Rennsteiglied von unserem Musiker, welches auch meine Mutter zu Ohren bekam. Tobias meinte immer: “Nur noch 20 Km. Wir sind schon so weit gekommen!“ Er mag Recht haben, dass wir schon weit gekommen waren. Doch ich finde der Lauf fängt ab Km 70 erst so richtig an und spätestens ab Km 80. Ich wusste im Gegensatz zum Rennsteiglauf was noch auf mich wartete. Ob dies gut war? Ich weiß es nicht. Diese Kilometer am Fluss entlang sind doch mit die ödesten. Es nimmt kein Ende. Doch ich fühlte mich wieder ein wenig besser. Ich konnte das Tempo noch mal anziehen und wir schafften es noch den einen oder anderen zu überholen. Über abenteuerliche Brücken, die gefährlich schwankten, ging es immer weiter am Fluss entlang Richtung Biel. Auch Tobias spürte so langsam, was 20Km doch eigentlich für eine lange Strecke sind. Wir sehnten uns lange nach dem 90 KM Schild. Es zieht sich ewig zum Schluss. Ich wollte nicht mehr aufhören mit dem Laufen. Sich dann noch mal zu überwinden ins Laufen überzugehen wäre glaube nicht mehr möglich gewesen. Ab Km 95 ist jeder weitere Km ausgeschildert. Einem wird bewusst wie lange so ein Kilometer sein kann und was man in dieser Nacht alles zurückgelegt hat. Langsam kommt innerlich schon die Freude auf. Die Zeit von 10:30 war lange vorbei und ich wusste, dass ich locker unter 11 Stunden bleiben werde. Also bei Km 99 noch mal eine kurze Fotopause. Ich glaube, ein schöneres Foto gibt es nicht von Biel. Der letzte Kilometer geht dann auch locker runter. Auf den letzten Metern wird einem bewusst was man geschafft hat. Man erreicht den Ort, wo man im Dunkeln vor fast 11 Std gestartet war. Ich hatte es mir nie vorstellen können und dann war der Moment da. Unglaubliche Freude überkam mich. Auch Tobi stand die Erleichterung und Freude im Gesicht. WIR hatten es geschafft. WIR haben das Ziel erreicht. Nach 10 Std und 47 min, 11. in meiner Altersklasse und 224 insgesamt erreichte ich das Ziel. Die Schmerzen überkamen mich sofort. An Stehen und Gehen ist nicht mehr zu denken. Maik kommt uns frisch geduscht entgegen. Doch meine Freude hielt nicht lange an. Meine Mutter wurde angekündigt und erreichte nur unglaubliche 4 Minuten hinter mir das Ziel. Ich konnte es nicht glauben, dass ich hier völlig zerstört am Boden liege und Muttern wieder grinsend, auch wenn diesmal nicht so entspannt im Gesicht schauend mir so auf den Fersen war.
    Zum Glück hatten wir ein Fahrrad mit. Den ganzen restlichen Tag hatte ich mit Gehen nicht mehr viel am Hut.


    Einen ganz großen Respekt an meine Mutter. Ich hätte nie damit gerechnet, dass sie sich so stark steigert. Ich ziehe meinen Hut vor ihr. Auch an Maik, Gratulation, Genial, Respekt. Nach so einem Einbruch und nach solch einer Distanz zum Schluss noch mal so aufdrehen zu können. Auch hier ein Hut ab.


    Eine Sache war mir klar nach diesem Lauf, dass ich nie wieder nach Biel kommen werde. Eigentlich waren wir uns da alle einig gewesen als wir da so in der Sonne am See lagen. Doch bereits auf der Rückfahrt wurde mir eins immer klarer. Eigentlich war es doch ein geiler Lauf. Es stimmt wirklich. Einmal muss man mindestens nach Biel kommen. Es ist ein ganz eigener Lauf. Ich werde, wenn alles klappt und mir die Freude erhalten bleibt zu 100% wieder nach Biel fahren. Wann? Das weiß ich noch nicht. Aber wenn ich immer mehr so zurückdenke und über den Lauf nachdenke, werde ich unzufriedener mit meiner Leistung. Es war mehr drin gewesen und ich ärger mich doch noch sehr. Es war nicht mein Tag. Ich kann so nicht mit Biel verbleiben. Ich habe mit Biel noch eine Rechnung offen.

  • Einmal musst Du nach Biel - ich glaube, das stimmt und einmal will ich auch hin. Die Laufberichte verstärken dieses Gefühl noch. Meine Hochachtung Euch allen. Max sollte sich einen neuen Nick zulegen: 'Painkiller' statt 'Trailrunner': 60, 70 km mit Schmerzen zu laufen ist (obwohl es vielleicht nicht in medizinischen Fachbüchern empfohlen wird) eine mir unvorstellbare Willensleistung.... Erholt Euch noch gut und bis bald

  • Ein sehr ehrlicher Bericht.
    Laufen ist von allen Ausdauersportarten immer noch die Schmerzhafteste.
    Lange Läufe tun weh, schnelle Läufe tun weh, und es dauert lange, bis man sich wieder erholt hat.
    Ich hoffe, dass deine jungen Knochen die Tortur ohne längere Blessuren überstanden haben, weil du ein bisschen was von der unbegreiflichen Konstitution deiner Mutter geerbt hast.


    Ich würde auch gerne mal in Biel starten, aber ich weiß nicht, wann ich läuferisch wieder auf diesem Level angekommen bin und ob überhaupt jemals.