Aus der FAS: Marathon und das Geld

  • Marathon
    Das Geld liegt auf der Straße
    Es ist die Gier nach Rekorden: Der Marathon wird immer mehr zum Millionengeschäft - und für die Läufer aus Kenia zur Lebenschance. Aber sorgt wirklich nur die Höhenluft für die Ausdauerkraft der Athleten?


    Von Michael Reinsch


    25. April 2011


    Vor Sonnenaufgang sprang der junge Geher Ronald Weigel beim Höhentraining in Addis Abeba aus dem Bett, um so viel wie möglich trainieren zu können. Jedoch: „Als ich um fünf Uhr morgens mit dem Training begann, kamen die Ersten schon zurück von ihren Bergläufen“, erinnert er sich. Und wenn die äthiopischen Läufer sich um Olympiasieger Miruts Yifter scharten, konnte der Mann aus Potsdam nur staunen über Tempo und Härte: „Das war Ballermann und Söhne.“ Das gilt für Äthiopien, das gilt aber auch für Kenia.


    So haben Weigel, der heute Marathon-Bundestrainer ist, die Ergebnisse zum Auftakt der Straßenlauf-Saison nicht überrascht: die 2:04:40 Stunden des Kenianers Immanuel Mutai in London und die phantastische Zeit von 2:03:02 Stunden seines Landsmanns Geoffrey Mutai in Boston - 57 Sekunden unter dem alten Weltrekord, wegen des abschüssigen Streckenprofils aber nicht als neue Bestzeit anerkannt.


    In Düsseldorf, Hannover und Hamburg, den nächsten großen Terminen in Deutschland, sind zwar solche Resultate nicht zu erwarten. Doch das liegt nur am Geld. „Wenn man eine Million Preisgeld aussetzen und die Besten zusammenholen würde, fiele der Weltrekord“, vermutet Weigel. „Die Szene gewinnt an Qualität, immer mehr junge Läuferinnen und Läufer kommen dazu. Ich habe das Gefühl: Die wollen ja alle nur noch Marathon laufen.“
    „Leichtathletik wird eine immer bedeutendere Einkommensquelle“


    Das Geld liegt auf der Straße. London zahlte seinem Sieger 155.000 Dollar, in Boston gab es 215.000; zusätzlich zum Antrittsgeld, versteht sich, das für namhafte Läufer im sechsstelligen Bereich liegt. Die Veranstalter bieten um die Wette, denn auch sie stehen in Konkurrenz: Allein in Deutschland finden pro Jahr mehr als siebzig Marathonläufe statt, weltweit sind es über zweihundert. Nur mit den stärksten Läufern kommt man in die Schlagzeilen.


    Der schnellste (2:03:59) und teuerste von allen ist Haile Gebrselassie. Der nur 1,64 Meter große Äthiopier, der in bitterer Armut aufwuchs, hat sich ein veritables Wirtschaftsimperium mit Hotels, Schulen, Kinos, Bauunternehmung sowie Import und Export erlaufen. Jeder weiß, dass er nur noch einen einzigen Marathon laufen wird, bevor er versucht, in London 2012 auch im Marathon Olympiasieger zu werden. Mindestens eine halbe Million Dollar wird zahlen müssen, wer ihn verpflichten will.


    Reichlich acht Millionen Euro Preisgeld sollen Marathonläufer aus Kenia laut Kipchoge Keino, Olympiasieger von Mexiko 1968 und heute Präsident des Nationalen Olympischen Komitees des Landes, im vergangenen Jahr nach Hause gebracht haben. Sie gewannen 126 Marathons. Keino betrachtet das Laufen als Branche. „Leichtathletik wird wie der Tourismus und der Anbau von Tee eine immer bedeutendere Einkommensquelle“, sagt er und fordert, um das Potential auszuschöpfen, den Bau von Sportanlagen.
    „Ich habe mein erstes Geld mit dem Laufen verdient“


    Der wirtschaftliche Erfolg der Athleten ist in Eldoret im Rift Valley schon jetzt mit Händen zu greifen. Die Hälfte der viertgrößten Stadt Kenias gehöre Läuferinnen und Läufern, schätzt die Zeitung „Nation“. Ob Villen im teuren Wohnviertel Elgon View oder Bürogebäude in der Innenstadt: alles mit Fersengeld bezahlt. Moses Tanui, zweimal Sieger beim Boston-Marathon, hat sein Hotel „Grandpri“ genannt, denn: „Es erinnert mich daran, dass ich mein erstes Geld mit dem Laufen verdient habe.“ Neun Schulen, darunter die Kipkeino Highschool, haben Athleten in Eldoret gebaut. Trainingsgruppen kommen aus der ganzen Welt zum Höhentraining. „Eldoret und seine Umgebung erleben einen Immobilien-Boom“, freut sich „Nation“. „Und es sind Kenias Sportler und Sportlerinnen, die das Tempo vorgeben.“


    Der offensichtliche Wohlstand, der sich auch in Luxuswagen, Schmuck und großen Rinderherden ausdrückt, wirkt wie ein Verstärker für den Ehrgeiz des Nachwuchses. Selbst die zweite Garde der schlanken, ausdauernden Läufer ist international konkurrenzfähig, ob sie nun in der hügeligen Umgebung von Eldoret oder in Addis Abeba aufwachsen. So rennen Viehhirten tagtäglich um ihre Chance, einen Teil vom Kuchen zu bekommen. Frauen stellen traditionelle Gesellschaftsmodelle auf den Kopf, indem sie ihre Familien ernähren von den Preisgeldern einer laufenden Wohlstandsgesellschaft in Übersee.
    „Die Verletzten fallen raus, und die Stärksten überleben“


    Die Höhenlage ihrer Heimat verschafft den kenianischen und äthiopischen Läufern besonders viele rote Blutkörperchen, und durch deren gesteigerte Fähigkeit zum Sauerstofftransport überdurchschnittlich hohe Ausdauer. In der internen Konkurrenz hilft ihnen das nicht. Sie ist mörderisch. „Man hört nie etwas von verletzten Kenianern“, sagt Weigel. „Die fallen raus, und die Stärksten überleben.“ Gut möglich, dass auch anderes als Höhenluft für die Ausdauer der Athleten sorgt.


    Der Internationale Leichtathletikverband räumte vor der Weltmeisterschaft 2009 in Berlin ein, im afrikanischen Hochland keine einzige Blutprobe genommen zu haben, weil auf dem Transport zum Labor keine Kühlung gewährleistet werden könne. „Ich weiß nicht“, erwidert Weigel auf die Frage nach Doping: „Es ist schon erschreckend, wie schnell die Leistungsentwicklung voranschreitet.“ Vielleicht auch deshalb warnt der Kolumnist Macharia Gaitho in Nairobi: „Die Erlöse sind großartig. Aber die Dollar-Schecks sind mit Blut, Schweiß und Tränen geschrieben.“
    Europäer und Amerikaner holen nur langsam auf


    Die Übermacht der Kenianer zu beenden, ist Alberto Salazar mit seinem „Oregon Project“ angetreten. Der bei Nike angestellte ehemals schnellste Marathonläufer der Welt (2:08:52 Stunden) treibt seine Athleten nicht nur zu enormem Trainingsumfang, sondern lässt sie auch an Entspannungstechniken arbeiten. Er verändert ihren Laufstil, lässt sie in Häusern schlafen, in denen künstliche Höhenlage herrscht, das heißt: der Sauerstoff reduziert ist. Er steckt sie in Kältekammern und Wasser-Tretmühlen. Er wie Weigel verstehen Marathontraining als Balance zwischen Überlastung und Rehabilitation. „Fünf Stunden Training erfordern fünf Stunden aktiver Prophylaxe“, sagt der Deutsche.


    Den Vorsprung Ostafrikas holen Europäer und Amerikaner mit Raffinesse, wenn überhaupt, nur langsam auf. Denn längst haben die großen Manager wie der Niederländer Jos Hermens und die Italiener Gabriele und Federico Rosa sowie Gianni Demadonna ganze Läufergruppen aus Afrika unter Vertrag. Sie sorgen für den Knowhow-Transfer in ihre kenianischen Camps mit eigenen Trainern, Physiotherapeuten, Ärzten. Wenn der 19-jährige Geoffrey Kipsang Kamworor - ein Klient von Jos Hermens auch er - im Alleingang Junioren-Weltmeister im Cross wird, zwei Wochen später den Halbmarathon von Berlin gewinnt und nach der Klage über den zu langsamen Tempomacher ankündigt, dass er bei der Weltmeisterschaft Kenia über 10.000 Meter vertreten wolle, fragt man sich: Was macht ihn nur so unfassbar gut?


    Text: F.A.S.
    Bildmaterial: REUTERS

  • Noch ein Beitrag zum Marathon, hier Boston mit Historie und Weltrekorddiskussion.


    http://www.faz.net/s/Rub9CD731…Tpl~Ecommon~Scontent.html


    Der Vorteil von 140m Gefälle gegenüber 42m erlaubten + Rückenwind wird im Artikel auf 2 Minuten geschätzt und zwar von Alberto Salazar, der 98 in Berlin Weltrekord gelaufen ist und dem ich bei meinem Marathondebüt im letzten Jahrhundert keine zwei Stunden Vorsprung gelassen habe 8-)


    Der BostonSieger Mutai ist also der Bruder vom Londongewinner, dieser war zwischen km 30 und 40 28:44 schnell und damit fixer als der der beste deutsche 10km-Läufer . . . :lol: