24h von Gotha / 02.-03.09.17

  • Laufbericht 24 h DM am 2.-3. September 2017 in Gotha

    (dauert keine 24 h zum Lesen, vielleicht hat es ja jemand auch mal vor...)



    24 h im Kreis laufen, u.a. um dem alltäglichen Hamsterrad zu entkommen, klingt etwas widersinnig. Und dennoch ist es so, schon durch die besondere Herausforderung für den Kopf... Ich bin noch nie so lange am Stück gelaufen, schon gar nicht so kurze Runden. Ich war gespannt, wie ich diesen Tag, vor allem die Nacht durchstehen, vielmehr durchlaufen würde. Im Vorfeld hatte ich einige Laufberichte gelesen, da wurden zum Teil Trainingsumfänge pro Woche beschrieben, von denen ich nur träumen konnte, abgesehen von den wenigen Wochen mit Ultra-Läufen wie Rennsteig, ZUT, zuletzt die 2 Etappen des Balticruns oder die 50 km Begleitung von Maik bei den 100 Meilen Berlin.


    Ein Anreiz für die Anmeldung für die 24h in Gotha – nicht in Bernau – war die Streckenbeschreibung flacher 2,04km-Rundkurs... Das sollte sich als sehr relativ herausstellen. Es waren einige „Hügelchen“ Runde für Runde zu durchlaufen, Bodenbeschaffenheit Kieswege, mit kurzen Kopfsteinpflasterpassagen. Die Helfer waren sehr bemüht, „Stolpersteine“ für die Nacht auszubessern.



    In unmittelbarer Vorbereitung auf den Lauf versuchte ich die letzten Tage etwas ruhiger zu treten, die eine oder andere Stunde mehr zu schlafen. Ich las noch einmal nach, was Norbert Madryim „Ultra-Lauf-Kompass“ zum 24h-Stundenlauf schrieb, außerdem bei Michele Ufer „Mentaltraining für Ultra-Läufer“, auch den Plan von Michael Irrgang von der LG Ultralauf, erstellt für die 100 Meilen sub 24h.


    Nach alldem bastelte ich mir einen ungefähren Plan, wenngleich nicht so detailliert, rundenweise wie die Profis (etwa Stu Thoms, LG Nord Berlin, mehrfacher 24h-Lauf-Sieger, Spartathlon-Sieger). So sah MEIN PLAN aus:


    Für 24 h rechnete ich etwa 2 h für mögliche Pausen ein:


    • -WC/ Umziehen/ Ausruhen (ca. 3x 10 Min.)
    • -Für je 10 km zwei VP-Pausen á 2 Min. nach 4 km (= 2 Runden) bzw. 6 km (= 3 Runden) – das macht weitere 1h:30
    • -für 100 km – dann 13h + 1h Pause = 14h
    • -bleiben noch 10 h für 50 km -Minimum-Ziel ...und wenn es gaaanz gut läuft – wollte ich die 100 Meilen (161 km) knacken


    Es bleibt eine Laufzeit von 22 h:


    Das bedeutete ein Anfangstempo um einen 7er bis 7:30er Schnitt (=Rundenzeit von etwa 14-15 Min.), bis zum Ende hin einen 8:30er – 9er Schnitt (Rundenzeit um die 17-18 Min.) und langsamer. So die Theorie – was würde die Praxis zeigen??? Ein Blick auf die Ergebnisliste des Vorjahres zeigte, dass 160 km im Frauenbereich schon sehr ambitioniert waren. Ich wusste im Vorfeld nicht, würde ich so müde werden, dass ich mich womöglich auf ein halbes Stündchen „aufs Ohr“ legen müsste (ein Schlafzelt stand zur Verfügung).


    Obwohl es die Deutsche Meisterschaft war, ging es mir um keinen Platz, Ziel war– MEIN RENNEN zu laufen, mein km-Ziel zu erreichen, wenn der Plan aufgeht, springt dabei vielleicht ein AK-Platz raus.



    Am Vorabend zum Abholen der Startunterlagen an Start und Ziel auf dem Schlossberg ging es sehr ruhig zu, der mdr baute noch seine Bühne, Technik auf, die Transponder waren erst am Morgen vor dem Start abzuholen. Ich hatte statt Turnhalle Hotel gewählt, konnte so noch einmal gut schlafen, nachdem alle Sachen für den Lauf, Wechselsachen sortiert waren.


    Die Startzeit 10 Uhr ließ genügend Zeit für ein ruhiges Frühstück, Abstellen der Sachen..., am Rundendurchlauf standen ausreichend Dixie-WC.


    Für Einzelkämpfer wie mich gab es Unterstellmöglichkeiten für Sachen, neben der allgemeinen Verpflegung konnte man Eigenverpflegung abstellen..., natürlich eine andere Nummer als mit Unterstützung von Betreuern, grad über die Nacht.


    Ich war darauf eingestellt, in der Ultra-Lauf-„Familie“ kennt man sich ein wenig –smalltalk mit Läufern der LG Ultralauf, LG Mauerweg, der LG Nord. Nach den letzten Ultra’s, insbes. Balticrun, hat mir die LG Nord freundlicherweise „Asyl“ im Team-Zelt gewährt. So wusste ich die Sachen gut untergestellt, Wechselsachen griffbereit: Schuhe, Socken, Hose, Shirt, für die Nacht Ärmlinge, leichte Regenjacke, Kopfbedeckung, Stirnlampe, ein paar Gels... Vaseline! Blasenpflaster ... Das wirkte bescheiden neben der kompletten Eigenverpflegung, Ausrüstung der „cracks“.


    Das Wetter meinte es gut: Die Sonne lachte, alle wünschten sich viel Glück, ich atmete tief durch als Newcomerin unter den zahlreichen, die bereits wussten, was auf sie zukam. Natürlich gab es Begrüßung der Favoriten – bei den Männern Florian Reus, u.a. Stu Thoms, bei den Frauen Antje Krause aus Marburg und Heike Bergmann (meine AK, Mitglied des deutschen WM-Teams, das unlängst in Belfast Platz 3 belegt hatte).



    Dann fiel der Startschuss - mit mir liefen ca. 160 Läuferinnen (36) und Läufer (118) los, entspannt, im ruhigen Tempo. Die 2km-Schleife wollte erst einmal vollständig besichtigt werden. Gleich nach dem Start ging es hügelan – nach der Verpflegungszone würde man da nach hinten raus eher gehen. Gefühlt waren 3-4 Hügel zu durchlaufen, wo es „hoch“ ging, konnte man sich dann auch wieder nach unten „fallen“ lassen. Vielleicht gar nicht so schlecht. Etwa ab km 80 ging ich hügelan... aber bis dahin würde es noch dauern. Erst einmal hieß es den Rhythmus zu finden, die 2km-Runde machte das Rechnen leicht, um ungefähr das Tempo einzuschätzen. Es gab einen Bildschirm vor der VP-Zone, wo Runden, km, Platz jede Runde abzulesen war. Hier spielte der mdr Musik ab bis zum Dunkelwerden und ab frühmorgens wieder. Immer mal gaben die Organisatoren von Lauffeuer Frottstädt e.V. bzw. der Deutschen Ultra-Vereinigung (DUV) den Zwischenstand bekannt oder begrüßten die einzelnen Läufer, das Feld zog sich trotz der nur kurzen Strecke. Ich redete immer mal kurz mit Leuten, Helfern an der Strecke, den Betreuern der LG Nord, hatte diverse „Fanclubs“, die mich – dank meines Lächelns und angeblich frischen Aussehens – immer wieder anfeuerten. Es machte also durchaus auch Spaß. Die Runden störten mich überhaupt nicht – ich war ja auf Runden eingestellt. Es gab nie die Versuchung, sich jetzt hinzusetzen oder gar hinzulegen. Die Runden brachten Verpflegung oder bei kurzem Nieselregen (Gewitter, Regen zogen dann aber vorbei, es wurde nur etwas windig) mögliche Wechselsachen näher. Es musste nix mitgeschleppt werden – also auch ein Vorteil.



    Ich fing alle 10 Runden (20 km) wieder von vorn zu zählen an, stellte sozusagen die innere Uhr wieder auf „Null“, das sollte eigentlich das Zählen erleichtern, war aber vor allem gut für den Kopf. Die ersten 10 Runden blieb ich meist unter 14 Min./Runde, ohne genau auf den Schnitt zu achten – nach Gefühl lief ich die ersten 40 Runden (reichlich 80 km) fast punktgenau in 10 h, bis dahin ohne nennenswerte VP-Pause. Es war nun 20 Uhr - es folgte eine erste „längere Pause“ von ein paar Min. – WC, Schuhe leeren, ein paar Happen mehr essen...


    Gegessen und getrunken hab ich über die Zeit regelmäßig in sehr kleinen Portionen, nicht immer im 4- oder 6km-Abstand. Getrunken: Wasser oder Gemisch aus Wasser und Cola, später auch mal alk.freies Bier. Wer wollte, konnte auch zu Bier mit Alk. greifen. Nein, nicht jetzt – die Müdigkeit würde früh genug kommen. Bei Anbruch der Dunkelheit wurde es allmählich frischer, da fühlte sich eine heiße Brühe und warme Pellkartoffel angenehm im Magen an. Zuvor eher kleine Stücken Stulle, Banane, Melone oder Keks, die Palette war ultralauf-freundlich, breit und frisch bis zum nächsten Morgen. Auch für die Helfer war es eine lange Zeit.



    Nach 13h – eine Stunde vor dem Planhatte ich die ersten 100 km (50 Runden) in den Beinen. Alles fühlte sich noch gut an, und der Plan schien zu funktionieren, aber der spannendere Teil folgte ja erst. Ich hatte keine Sitz- kaum Stehpausen gemacht, war zumeist in Bewegung, würde sich das nach hinten rächen???


    Tagsüber hatte ich mir die möglichen Stolpersteine für die Nacht gemerkt.Die Strecke war von der Freiwilligen Feuerwehr beleuchtet, z.T. hatte man große Laternen aufgestellt. Es gab ein - zwei Stellen, auf denen es Runde für Runde aufs Neue aufzupassen galt. Die Stirnlampe wollte ich nicht aufziehen, würde nur stören. Der Mond leuchtete durch das Laub und auch jede Menge Sterne! Klarer Himmel, es würde kühl werden. Allmählich wurde es frischer, die Rundenzeiten langsamer, die Gehanteile wurden länger, auch die Müdigkeit meldete sich, ab und an kam es mir vor, dass ich in Schlängellinien laufe. Gegen 4 Uhr gabs den ersten und einzigen Sekundenschlaf – ein großer Becher heißer Kaffee konnte abhelfen. Ich zog eine Jacke über, Handschuhe hatte ich zu Hause gelassen, bei 7° hätten sie nicht gestört.


    ... Weiter gings. Kurze Zurufe vom Streckenrand: Du läufst wie ein Uhrwerk! nicht mehr lange!! (wohl etwas verfrüht)... Mit einigen der Mitkämpfer riefen wir uns Aufmunterungen zu... Und es musste doch bald hell werden!! Gegen 6 Uhr erst kam die Morgendämmerung und schließlich ein herrlicher Sonnenaufgang. Beim Rundendurchlauf hatte man nun wieder einen schönen Blick ins Thüringer Land, wir liefen ja auf dem Schlossberg.


    Etwa 7:15 Uhr am Morgen, nach 73,5 Runden (eine Runde war 2,04 km, die Meterchen summierten sich) hatte ich mein Minimalziel erreicht: die 150 km. Nun würde ich die 100 Meilen schaffen – noch 5 Runden. Allmählich wurde es zäh, ein Schwachpunkt wurde immer stärker: die Füße, vielmehr die Fußsohlen. Ich hatte zweimal die Schuhe lockerer geschnürt, damit hatte ich am Ende keinen blauen Zehennagel. Das blieb trotzdem nicht ohne Nachteil: die Steinchen sammelten sich zügig im Schuh, gefühlt hatte ich den Schlosspark im Schuh. Meine positiven Bilder im Kopf, halfen eine Weile, konnten den Ist-Zustand aber auch nicht länger überlisten: ich erinnerte mich an das kühlende Bad der Füße während der Hüttenwanderung in den Alpen unlängst in den Bergbächen.



    Nach 9 Uhr waren die 100 Meilen (161km) geschafft.


    Nicht nur die geschaffte Strecke, vor allem dass der Plan so aufgegangen war, stimmte mich absolut froh. Ich sehnte das Ziel herbei, aber es folgten noch knapp 3 Runden... Die Emotionen übertönten den Schmerz, auch wenn ich nicht mehr wusste, wie auftreten...


    Eine Runde vor Ende bekam man ein Holzklötzchen mit der Startnr. – beim abschließenden Schuss einen Tag nach dem Start, um 10 Uhr morgens hieß es Stehenbleiben, das Klötzchen an den Wegrand legen – und dann würde die Restsumme vermessen werden – 167,277km .


    Während des Laufs sah ich, dass ich offensichtlich einen Platz unter den ersten 10 bei den Frauen belegen würde (am Ende Platz 9), Platzierung hatte ich so gar nicht auf dem Schirm – in der AK den 3. Platz. Ich verdrückte reichlich Freudentränen ... man gratulierte sich... ich wollte raus aus den Schuhen ... konnte überhaupt nicht fassen, dass es vorbei war.



    Zu den kalten Duschen gings im Schneckentempo mit Klamotten den Schlossberg runter irgendwo in eine Turnhalle, zur Siegerehrung 2h später etwas frischer zurück bergan. Diese fand in der Mittagshitze statt... Inzwischen waren reichlich Zuschauer am Ziel. Alles verlief wie im Film, letzte Gespräche beim Kaffee in der Mitropa auf dem Bhf., Rückfahrt per Zug, hoffentlich das Umsteigen nicht verschlafen ... irgendwann ankommen, essen, Wäsche waschen, schlafen...



    Nächsten Morgen – ein ziemlich geschwollner rechter Fuß, der immerhin in Sandalen passte, inzwischen auch wieder gut in die Laufschuhe, die ersten km wieder gelaufen, langsame Rückkehr zurück in den Arbeitsalltag...



    Mit etwas Abstand – war es vielleicht doch nicht mein letzter 24h-Lauf...

  • Nein, ich hatte welche dabei. Zum einen wurde das Problem erst in den letzten 2h massiv... ich hatte vor allem die Vermeidung der blauen Zehen "im Hinterkopf" (der nach 22h laufen wohl auch nur bedingt arbeitet)... damit hatte ich durch das Lockern der Schnürsenkel Null Probleme. Es drückte nirgendwo. Wie sich am Folgetag herausstellte, hatte ich auch keine einzige Blase. Nur der Kies war akut irgendwo schon in den Socken ... und nur noch 2h ist zwar nach 22 überstandenen Std. kurz, aber doch auch wieder lang ?(


    Für ähnliche Aktivitäten, wie auch Mehretappen-Läufe, längere Distanzen müsste ich mir ein Paar Schuhe 1-1,5 Nummern größer als meine üblichen Laufschuhe zulegen. Erfahrung...

  • Manches mache ich ohnehin - da hab ich mich bestärkt gefühlt. Manches braucht sicher mehr Übung...
    Auf jeden Fall hat ich keinerlei Motivationsprobleme - hätte mir das jemand bei 24h auf 2km-Runde gesagt - ich hätte es nie geglaubt.
    Wo ich schon bei drei 5km-Plänterwaldrunden mitunter unlustig war.
    Auch Gedanken - was für einen Blödsinn ich hier grad mache, kamen nicht auf und das, obwohl dafür ausreichend Zeit gewesen wäre. ;-))


    Hier und da war das Reinlesen spannend, Wissen über Aktivität von Hirnarealen aufgefrischt, Gehirn ermüdet vor der lokalen Muskulatur - auch deshalb entscheidet der Kopf so viel mit.
    Nebenbei wurden auch extreme Extremläufe vorgestellt:
    Jungle Ultra am Amazonas, es geht auch näher - STUNT100 sogar hierzulande.


    2h nach Ende war Siegerehrung, 5h später etwa saß ich im Zug, die Rückreise gab nicht viel Zeit zum Schlafen ...
    habe wohl mehr vor- als nachgeschlafen ... immerhin, hab mir Montagmorgen 2h später Arbeitsbeginn "genehmigt" ;-))